Die Ferienzeit 2020 endet mit der heiß diskutierten Frage: „Ist der Preis des Reisens zu hoch?“ Da sich darauf mit Sicherheit keine einhellige Antwort finden wird – es sei denn, man hält es mit der österreichischen Kabarettistin Lisa Eckhart, die meint, „Reisen sei nur etwas für Flüchtlinge“, richtet sich das Hauptaugenmerk der Reiseindustrie auf das Jahresende und die dann anstehende Frage: Welches Pandemie-gerechte Angebot hat längerfristig überhaupt eine Chance?
Für viele ist dieses Jahresende genau der Zeitpunkt, der in dem Film „High Noon“ entscheidend ist. Nur einer kann das Duell gewinnen – das Virus oder die Menschen. Oder können beide eine Koexistenz eingehen? Das Virus beherrschbar werden, aber nicht verschwinden? Die drohende Zuspitzung auf diesen Zeitpunkt am Jahresende hat in der Kreuzfahrtindustrie einen realen Hintergrund. Die Amerikaner nennen die ersten drei Monate des Jahres „Wave Period“. In dieser Zeit entscheidet sich, wie hoch die Buchungszahlen im Jahresverlauf ausfallen und auf welchem Preisniveau die Abschlüsse erfolgen. Bleiben auf einzelnen Reisen oder Schiffen Auslastungslücken, können diese nur mit Einsatz erheblicher Nachlässe, hoher Werbekosten und dann vor allem durch Gruppenanbieter gefüllt werden, die niedrige Preise und hohe Rabatte fordern. In Europa gelten am Jahresanfang als Buchungsanreiz Frühbucherrabatte, zeitlich begrenzt und oft sogar gestaffelt. Wer zuerst kommt hat die freie Kabinenwahl und kann die gewünschte Route aussuchen. Auch in Europa gilt: Wer die Grundauslastung für den Sommer und Früherbst nicht schon am Jahresanfang schafft, bekommt ein Problem. Der größte Feind einer frühzeitigen Festlegung auf einen Termin ist die Unsicherheit, ob dieser Termin auch feststeht. Planungssicherheit regelt viele Abläufe im Leben. Das gilt für Familienfeiern wie Geburtstage oder Hochzeiten, für Schulferien und Abiturfeiern. Aber kann die Reiseindustrie für 2021 diese Planungssicherheit überhaupt bieten – und das bereits am Jahresanfang? In der Hochseefahrt wohl kaum.
Angesichts der noch ungelösten Pandemie müssen daher statt eines konzentrierten Anschubs der Nachfrage zunächst einmal möglichen Szenarien unter Berücksichtigung des Einflusses, den die Pandemie am Jahresanfang 2021 noch haben dürfte, verschiedenen Angebote geschaffen werden.. Die großen Produzenten versuchen bereits in diesem Jahr, mit einzelnen Reisen Flagge zu zeigen, um im Wettbewerb nicht in s Hintertreffen zu geraten, die Kundenbindung nicht zu verlieren und verschiedene Angebote auf ihre Praktikabilität zu prüfen. Dabei nehmen sie in Kauf, dass sich ihre fast wöchentlich ändernden Reiseangebote, Absagen oder Verschiebungen bei vielen assagieren eine zunehmende Verärgerung auslösen. Einzelne Fahrten ins Blaue sind zwar ganz nett, aber zu einer Kreuzfahrt gehört der Landgang. Zwar sollte inzwischen eigentlich jeder Kunde, der in diesem Jahr noch eine Kreuzfahrt machen möchte, wissen, dass sich seine Reise fast über Nacht auf Grund neuer gesetzlicher Vorschriften oder wellenartig steigender Corona-Fälle ändern oder sogar ausfallen könnte. Aber diese Einsicht verhindert nicht den zunehmenden Frust und auch nicht die um sich greifende Konsequenz: Bleiben wir erst einmal zuhause und warten ab, wie es im kommenden Jahr aussieht. Stabile Umbuchungszahlen von 2020 auf das Jahr 2021 in der Größenordnung um rund 50 Prozent sprechen dabei zumindest für die unverändert vorhandene ungebremste Lust, auf alle Fälle wieder in See zu stechen.
Doch was geschieht, wenn auch im Frühjahr 2021 immer noch kein stabiles Angebot verkauft werden kann? Dann dürfte es für sehr viele Veranstalter und Vertriebsfirmen richtig ernst werden. Denn nun rückt auch der Zeitpunkt näher, an dem die bisher gestundeten Raten-und Steuerzahlungen sowie hohe Bankschulden gezahlt werden müssen. Wer Anfang des Jahrs immer noch nicht das berühmte Licht am Ende des Tunnels erkennen kann, wird sein Engagement in der Branche überdenken müssen. Und das trifft keineswegs nur auf eine kleine Minderheit zu. Das Corona-Virus entlarvt alles, was auf wackligen Beinen steht. Ganze Staaten, Volkswirtschaften, Konzerne, mittlere und kleine Unternehmen und auch Individuen sind davon betroffen. Und der Kampf gegen das Virus verlangt etwas, was vielen Menschen überhaupt nicht liegt: Verzicht auf Nähe, die sie so sehr brauchen. Die heftigen Demonstrationen sprechen für sich. Ein Spagat auch an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, der einen längeren „Wolhlfühl-Urlaub“ nahezu unmöglich macht. Kurzkreuzfahrten ohne Landgänge sind keine stabile Alternative,
Bei den Planungen kommt ein weiterer Aspekt hinzu, den vor allem viele Produzenten gerne übersehen. Bei der Vorbereitung auf die Saison 2021 werden gegenwärtig zwar Reisen ausgearbeitet, schließlich will man Buchungen produzieren, aber ob diese Reisen auch in der vorgesehenen Form stattfinden können, steht heute nicht fest. An dem Verkauf dieser Reisen ist natürlich auch der Vertrieb beteiligt. Der hofft gegenwärtig, dass zunächst einmal Angebote für Bestandskunden auf den Markt kommen, denn dafür liegen sehr viele Umbuchungen vor. Das Neugeschäft wird dagegen zunächst einmal vernachlässigt werden müssen. Das bedeutet, Reduzierung auf bewährte Routen, und Destinationen. Und ein weiteres kommt hinzu. Der Vertrieb muss sich auf eine den gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Regeln bei der Bezahlung verlassen können. Daran änder das Virus überhaupt nichts. Das Reisebüro oder Online-Portale haben ihre Leistung erbracht, Absagen der Reise durch die Reederei sind kein Grund, die Provision zu verweigern oder Umbuchungen zu verlangen.
Einen Ausweg aus dem Dilemma der Kreuzfahrtbranche sehen die meisten nur in der Entwicklung eines Impfstoffes. Der sollte das Corona-Virus zumindest an einer Ausbreitung hindern können und damit eine Situation schaffen, die alle schon von dem Grippevirus her kennen. Das Virus muss beherrschbar werden. Wer das bieten kann, hat den weltweiten Wettlauf gewonnen. Sollte ein erprobtes Medikament oder ein Impfstoff jedoch noch länger auf sich warten lassen, droht eine heftige Depression mit schlimmen Folgen. Der Verschuldungsgrad der Volkswirtschaften ist ungewöhnlich hoch und das werden neben den Wirtschaftsunternehmen vor allem die Banken zu spüren bekommen, die trotz Stärkung ihrer Eigenmittel nach der letzten Finanzkrise keineswegs in der Lage sind, einen gewaltigen Forderungsausfall zu verkraften. Kein Wunder, dass sie schon jetzt übervorsichtig jeden Kreditantrag prüfen, auch wenn die Kreditanstalt für Wiederaufbau 90 Prozent des Kredites verbürgt. Viele Mittelständler, die lautstark die schleppende Bearbeitung und Gewährung ihres Kreditantrags beklagen, verkennen die Situation der Geldinstitute.