Das Corona-Virus bringt nicht nur schon vor Ausbruch der Krise schlecht finanzierte Unternehmen in Schwierigkeiten. Mit zunehmender Dauer der Pandemie schwinden auch die Liquiditätsreserven solide aufgestellter Firmen. Am schlimmsten ist die Perspektivlosigkeit, die alle belastbaren Planungen unterbindet. Im Tourismus führt das besonders im Vertrieb zu anschwellenden Insolvenzzahlen. Fast täglich müssen jetzt Reisebüros, die auch mit Hilfe von Darlehen gehofft haben, die Krise zu überwinden, erkennen, dass die sich häufenden Schuldenlasten nicht mehr zu tragen sind. Denn die zarten Wiederbelebungen im Tourismus werden durch die wellenartige Bewegung des Corona-Virus, die den Reiseverkehr immer wieder unvorhersehbar zum Erliegen bringt, unplanbar. Es reichen schon einige Corona-Fälle an Bord eines Schiffes oder unvorhersehbar schnell steigende Erkrankungsfälle aus, um den Start einer Reise zu verhindern oder ihren Verlauf zu verändern.
Betroffen davon sind nicht nur Veranstalter, sondern mit voller Wucht auch die Reisebüros. Wer hätte vor einigen Monaten geglaubt, dass das Virus beispielsweise so renommierte und alteingesessene Reisebüroketten wie Fahrenkrog in Kiel oder Papageno in Österreich in die Knie zwingen würde? Es werden vermutlich noch sehr viele ähnlich aufgestellte Agenturen folgen. Noch sind es vorwiegend die sehr kleinen Betriebe, die trotz harter Gegenwehr – oft unter Einsatz zeitaufwendiger, unbezahlter Mehrarbeit – diesen Weg gehen müssen. Aber der Druck erreicht inzwischen auch Kettenmitglieder.
Dabei ist ein Phänomen zu beobachten, das sich mit der weit entwickelten Wohlstandsgesellschaft und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem erklärt. Erstaunlich viele Mittelständler sind nämlich nicht bereit, die in den vergangenen Boom-Jahren erzielten privaten Gewinne jetzt in der Not anzugreifen. Das macht für sie nur Sinn, wenn ein zeitlich absehbares Ende der Krise feststeht, das Geld also nicht von vornherein verloren ist. Gutes Geld dem schlechten nachwerfen nennt das der Volksmund. Selbst die Tatsache, dass viele Hausbanken sich weigern, Darlehen zu gewähren, die zu 90 Prozent durch staatliche Bürgschaften abgesichert sind, deutet auf eine solche fehlende Bereitschaft hin. Die Geldinstitute kennen ihre Kunden sowie deren finanzielle Situation und ihre Einstellung zur Wahrung der eigenen Pfründe sehr genau und auch deren geschäftliche Schuldenlast, die, wenn überhaupt planbar, erst nach vielen Überschussjahren getilgt werden kann. Darauf zielen auch die strengen Bedingungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die schon vor der Krise verschuldete Unternehmen sowie Firmen, die keine nachhaltige Liquiditätsvorsorge vorweisen können, nicht unterstützt. Diese Unsicherheit vergrößert sich übrigens noch durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht.
Für zehntausende von Mitarbeitern, die gegenwärtig noch in der vermutlich auf zwei Jahre verlängerten Kurzarbeit stecken, dürfte allerdings allein die Vermutung, ihr Arbeitgeber pausiere mit Hilfe eines gut gefüllten privaten Ruhekissens, das durch die Insolvenz ihres Unternehmens nicht angegriffen wird, kein Trost sein. Für sie wäre ihr täglicher Kampf sicherlich etwas leichter, wenn auch bei ihren Arbeitgebern die Einstellung von Phoenix Reisen eine breitere Anerkennung finden würde: „Wir haben alle unsere Mitarbeiter an Bord weitgehend auf unsere Kosten in ihre Heimatländer zurückbefördert und werden sie auch nicht für Reisen ins Blaue, die nicht nachhaltig planbar sind, aus Verantwortung ihnen gegenüber zurückholen.“ In einer Demokratie genießt das Individuum nicht nur ultimative Macht, sondern trägt auch ultimative Verantwortung. Ein Solidaritätsgedanke, der in den Industrieländern leider etwas in Vergessenheit geraten ist.
Eine weitere Folge der Krise in den nächsten Monaten wird eine deutliche Konzentration in der touristischen Vertriebslandschaft sein. Einige Reisebüros werden versuchen, sich unter das Dach einer größeren Gruppe zu flüchten. Daraus ergibt sich eine veränderte Marktstruktur. Die Veranstalter werden es mit größeren Partnern zu tun haben, die selbstbewusster Forderungen stellen werden. Verlieren dürften die vielen kleineren inhabergeführten Agenturen.